05.05.10

Schön verpackte Nostalgie

Über dem Berg geht gerade die Sonne unter und taucht den Himmel in ein malerisches Abendrot. Ein seltsam surreales Licht umfängt mich. Leise weht der Wind über die Terrasse. Fünf Minuten Zeit für ein bisschen wehmütig dahinplätschernde Nostalgie! Anlass ist eines der aktuellen Aufreger-Themen aus der PC-Spieleindustrie und damit auch Diskussionspunkt im letzten Veteranen-Podcast. Es folgen ein paar Gedanken von yours truly. Gelebte Sekundärkommunikation so zu sagen.

Konkret geht es um die von Ubisoft in halbseidene Umweltschutz-Ambitionen gewickelte (und hoffentlich über chlorfrei gebleichte e-Mails verteilte) Aussage, dass man den neuen Produkten kein Handbuch (sprich: eine Spielanleitung) mehr beilegen wolle. Immerhin könne man durch das so eingesparte Papier ein paar Bäume retten. Und nebenbei sei die Technik inzwischen soweit fortgeschritten, dass sich die Dinger eh direkt im Spiel selbst erklären würden. Das warf die allgemeine Frage auf, ob in der heutigen Zeit überhaupt noch ein Spieler ins Handbuch schauen würde.

Nun, ich selbst schaffe es aus Zeitgründen nur noch, drei bis vier der großen Toptitel im Jahr zu spielen, von daher mag meine Meinung einen eher geringen Stellenwert für die Entwicklung des Marktes haben... Ich habe aber trotzdem eine. Es ist schon richtig: Viele Spiele sind heute selbsterklärend und verfügen über schöne, intuitive Tutorials. Handbücher-Lesen ist da im Grunde hinfällig geworden. Ich brauche auch nicht mehr im übernächsten DOOM über Seiten hinweg erklärt bekommen, dass ich mit der linken Maustaste auf die Monster schieße! Und die Epilepsie-Warnung dürfen sie meinetwegen neben den USK-Flatschen auf's Artwork stickern!

Aber: Mit diesem Trend stirbt auch ein weiteres Stück des Zaubers, der das ganze Hobby der "Computerspielerei" in den frühen 90ern noch umgab. Zuletzt war dies der Fall, als die Industrie die Packungen von dicken Kartonschachteln zu den üblichen DVD-Cases um-normte. Und Jörg würde mir wohl beipflichten: Was war damals allein das Auspacken (!) der alten ULTIMAs noch schön! Was sich da alles in der Schachtel fand... Auf Leinen gedruckte Landkarten, Mondsteine, Tugend-Karten, Reisenotizen von Lord British, usw. Dafür hat man gerne 120 D-Mark auf den Tisch gelegt und war dann auch ein paar Monate lang beschäftigt. STONEKEEP (na, wer kennt es noch?) lag sogar ein kleiner, eigens verfasster Roman bei. Ja, ganz recht: Damals haben auch die Computer-Freaks noch gelesen! Und nicht nur die jeweils aktuelle "PC Player"... Das war Spielerlebnis über den Bildschirm hinaus. Und ganz ohne Internet.

Mir ist klar, dass der Markt inzwischen ein ganz anderer ist. Bis die Kids heute den ersten Absatz im Handbuch bewältigt haben, sind schon wieder drei neue Mini-Games im Appstore erschienen. Mir persönlich kann's ja auch egal sein, so lange die drei, für mich interessanten Titel noch parallel in einer dicken Sammler-Edition erscheinen (Stichwort: Die strahlengeschützte FALLOUT-3-Lunchbox!). Nur, liebe Ubi-Softler: Dann nennt den Hammel doch auch beim Namen!

Ach ja...und viel Spaß mit den neuen Kopierschutz-Mechanismen! Dafür hatten wir früher auch das Handbuch... Seite 73, Zeile 5, Wort 2, hmmm *blätter* ...hmmm. Das war's jetzt aber auch mit der Nostalgie. Blicken wir alle wieder in die verstrahl... äh, strahlende Zukunft!

3 Kommentare:

  1. Schöne Kolumne! Aber bisserl zynisch ist der Herr ja schon.. :D

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  2. Meine Vermutung ist auch die, dass da wahrscheinlich genug Einsparpotenzial vorhanden war, um so einen Schritt zu machen. 20-30 Seiten bei einer Stückzahl von ein paar Millionen Spielen macht mit Sicherheit was aus. In Sachen "Ökobilanz" sieht es bei Computerspielen allerdings so oder so problematisch aus, denn nicht nur die Herstellung der bunten Scheiben, sondern auch so was wie anderthalb Jahre mit ein paar hundert Leuten vor sich hin werkelnde Entwickler beanspruchen sicher erhebliche Mengen an Energie für sich, die auch nicht überall nur aus grandiosen Photovoltaikanlagen auf dem Dach oder wärmeumwandelnden Großteichen auf der Sonnenseite des Firmenbüros kommen dürfte.

    Anlass dürfte aber tatsächlich "Kaum jemand will mehr Handbücher lesen" sein. "Show and tell" der möglichen Aktionen direkt im Spiel halte ich da auch für die bessere Lösung, zumal, wenn das dann wieder so gestaltet ist, dass es auch übersprungen werden kann, falls jetzt jemand partout keine Lust hat, sich zum x-ten Mal erklären zu lassen, wie gelaufen und gesprungen wird... Die Verbreitung von Flugsimulationen als Vorzeigeapplikationen für übergewichtige Handbücher hat nach meinem Eindruck ja nicht gerade zugenommen...

    Bei den luxuriös bepackten Schachteln von "damals" muss man dann allerdings auch immer auf die Preise gucken, die damals verlangt wurden. Für Karten, Kristalltrinkgläser, Feldstecher und Co. in der Schachtel durftest du da auch schon "collectors' edition"-Preise hinblättern, im klassischen 70-80-DM-Bereich habe ich auch genug im Regal gehabt, wo neben 70 Seiten Handbuch und irgendeiner Registrierungskarte nur noch die Datenträger dabei waren.

    Bei den Datenträgern wiederum lag sicher auch ein Grund für den Sprung zu den unauffällig-dünnen DVD-Schachteln: Es brauchte eben kein Volumen mehr, um fünf CDs oder 12 Disketten zu verpacken...

    Als lustige Handbuchabfrage habe ich noch Pirates! Gold in Erinnerung, wo man im Spiel zufällig auftauchende Piratenschiffe per konfusem Rumgeblätter identifizieren musste...

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  3. An die Flugsimulations-Fans hatte ich ebenfalls gedacht. Da gab's ja die Leute, die erst zwei Monate lang mit Wonne das 250 Seiten starke Handbuch wälzten, um die dreifach belegte Tastatursteuerung zu durchschauen. Das war selbst mir zu viel und das meinte ich auch gar nicht.

    Ich habe nur etwas gegen die halbgaren Entschuldigungen von Ubi Soft. Und gegen Handbücher als .pdf-Datei zum Selberdrucken. Wobei das Umweltschutz-Thema an sich ganz interessant ist, wie du ja auch schon schreibst (Arbeits- und Zeitaufwand bei der Produktion, Frage des Mediums etc). Vielleicht baut ja Will Wright demnächst einen umweltschonenden Stromgenerator, der nebenbei auch asiatische Kampfkunst beherrscht o.ä.

    Handbücher adé: So lange es sinnvolle, interaktive Tutarials gibt, ist ja alles in Butter. Auch hier fällt mir spontan wieder Ultima 9 ein: Zuhause wird erstmal beim Kofferpacken das Inventar verstanden und am Bogenschießstand das Kampfsystem erlernt. Erst dann geht's durchs Mondtor nach Britannia. So weit so gut.

    Nur bringt mich genau das eben zum zweiten Gedanken in diesem Eintrag. Vielleicht irre ich mich ja einfach, aber mir kommt es vor, als entwickelt sich in diesem Unterhaltungsbereich eine Abneigung gegen das geschriebene Wort. Schau dir die heutigen "Collector's Editions" an: Da sind meistens "Making Of"-DVDs drin, oder eine Soundtrack-CD, oder eben ein kleiner "Big Daddy". So schön "Bioshock 2" auch ist, manch einer hätte es sich lieber als geschriebene Vorgeschichte in der Packung des ersten Teils gewünscht (kommt noch jemand mit?). Stattdessen hält die Packung ein durchaus edles Design-Buch bereit, das aber wiederum fast ausschließlich aus bunten Bildern besteht. In Zeiten von Blogs und Twitter irgendwie paradox.

    Die Sache mit den Packungen ist sicherlich realativ zu sehen! Früher wussten wir teilweise nicht wohin mit den dicken Schachteln. Und richtig, viele von denen waren fast leer. Heute haben nur ein paar auserwählte Exemplare bei mir auf dem Schrank überlebt. Ich sage auch nur, dass ich generell den "Charme" etwas vermisse. Eine dicke Packung mit hübschem Artwork ist eben immer noch etwas anderes, als ein 08/15-DVD-Case mit schnödem Hinweiszettel zum DLC. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu sehr Materialist.

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